Redebeitrag: Das Problem heißt Rassismus!

Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen,

Zehn Morde, 3 Bombenanschläge und mehrere Raubüberfälle. Mindestens. Gehen auf das Konto des Nationalsozialistischen Untergrundes. Wütend, traurig und fassungslos fragen wir uns noch heute, in der Woche des Urteils im NSU-Prozess, wie so etwas passieren kann. Wie kann eine Nazibande mordend und raubend durch Deutschland ziehen? Wütend, traurig und fassungslos macht uns nicht nur der Hass, der die Täter*innen dazu trieb, sondern auch der Rassismus im System und Gesellschaft, der ihnen Nährboden gab und die Aufklärung der Verbrechen verhinderte.

Denn wenn wir über den NSU reden, dann müssen wir vor allem über Rassismus sprechen.

Zuerst über Rassismus als Tatmotiv und als wesentlicher Teil der nationalsozialistischen Ideologie. Sterben mussten die Opfer einzig weil sie in den Augen ihrer Mörder „Türken“ waren. Ihre bloße Existenz ist im wahnhaften Weltbild der Neonazis schon eine Provokation. Der Kampf dieser neuen Faschisten für eine homogenen weiße deutsche Volksgemeinschaft zielt auf die Vernichtung der „Anderen“. 188 rechte Morde seit 1990 sprechen hierbei eine deutliche Sprache.

Aber wie konnte eine kleine Gruppe von polizeibekannten Neonazis 13 Jahre im Untergrund verbringen und in dieser Zeit ungestört 15 Raubüberfälle, 3 Bombenanschläge und 10 Morde verüben?

Um diese Frage zu beantworten müssen wir über den Rassismus in den staatlichen Behörden, allen voran in der Polizei reden: den institutionellen Rassismus. Besonders klar zum Ausdruck kommt dieser in der im Jahr 2007 eingesetzte Operativen Fallanalyse Baden-Württemberg. Nachdem keine Erfolge bei der Aufklärung der Fälle erzielt werden konnten sollten die Mordfälle von erfahrenen Ermittlerinnen und Ermittlern einer Neubewertung unterzogen werden. Unter anderem ist in dieser Fallanalyse zu lesen [ZITAT] „Somit ist davon auszugehen, dass die Täter die Fähigkeit und somit auch die Bereitschaft charakterisiert, die Tötung von einer Reihe von menschlichen Individuen im Rahmen eines kühnen Abwägungsprozesses in ihren Gedanken vorwegzunehmen und zu planen. Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturkreis mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb der hiesigen Werte- und Normensystems verortet ist.“ – sprich die Mörder müssen ausländische Kriminelle sein – falscher konnten die Ermittler nicht liegen.

Dagegen sei noch ein anderes Zitat erwähnt: „Der Täter sei diszipliniert, er habe die Männer erschossen, weil diese aus der Türkei gekommen seien oder so ausgesehen hätten. Seine Motivation sei eine Mischung aus persönlicher Veranlassung und Nervenkitzel gewesen. Der Mörder hege aus unbekannten Gründen eine tief sitzende Animosität gegen türkischstämmige Menschen.“ Diese Passage stammt aus einem Profiling-Bericht des amerikanischen FBI – und wurde von den FBI-Ermittlern auf Grundlage des gleichen Materials erstellt, das auch die erwähnten deutschen Kollegen zur Verfügung hatten. Der Unterschied: Sie hatten die Fakten ohne rassistische Stereotype analysiert.

Der institutionelle Rassismus in deutschen Polizeibehörden zeigt sich noch an vielen anderen Stellen: So gibt es bei jedem Mord Zeuginnen und Zeugen, die von zwei kahlgeschorenen Fahrradfahrern in Tatortnähe berichten, diesen Hinweisen wird kein einziges Mal nachgegangen.
Süleyman Tasköprü wurde 2001 in Hamburg vom NSU ermordet. Sein Bruder berichtet: “Die Ermittler haben unserer Familie viel Leid angetan. Sie haben die Aussagen meines Vaters, der die Mörder gesehen hat, komplett ignoriert.”
Stattdessen werden die Opfer wahlweise des Drogenhandels, der Steuerhinterziehung oder des Kontakts mit der türkischen Mafia verdächtigt. Die Wohnungen ihrer Familienangehörigen werden durchsucht, Telefone abgehört und endlose Verhöre mit den traumatisierten Hinterbliebenen geführt. Teilweise werden auch diese als Täter*innen verdächtigt. Für all diese Anschuldigungen gibt es nicht mal den Hauch eines Beweises.

Deutlich wird das alles auch im Mordfall Kiesewetter. Während bei allen vorherigen Opfern in deren Umfeld ermittelt wird, bleibt diese Pein den Angehörigen der weißen Polizistin erspart. Stattdessen finden sich in den Ermittlungsakten folgende Aktenvermerke – bitte entschuldigt die Sprache, sie ist nicht die unsere, sondern die deutscher Polizisten: „Hinweis auf eine verurteilte Zigeunerin in Mannheim“ und „Hinweis auf einen joggenden Neger“, da heißt es weiter „Der Neger habe einen Gegenstand in einen PKW Smart mit 4 Negern hineingereicht.“ Nachdem ein Zeuge – ein Angehöriger der Roma-Minderheit – einem Lügendetektortest unterzogen wird – notiert der ausführende Polizei-Psychologe [ZITAT] „ein typischer Vertreter seiner Ethnie, wo lügen zur üblichen Sozialisation gehört“.

Unzählige Hinweise, die auf das Tatmotiv Rassismus deuten, werden von verschiedenen Polizeibeamten – teilweise unabhängig voneinander – nicht beachtet. Stattdessen wird auf Biegen und Brechen festgehalten an der so simplen wie falschen Formel: „Mord an einem Türken heißt organisierte Kriminalität oder Ehrenmord“.

Wir fragen uns: Hätten die Beamten genau so ermittelt wären die Opfer die Besitzer einer “Gärtnerei Müller” oder “Metzgerei Schmidt” gewesen? Wohl kaum… Für viele Polizisten sind sie nicht mal Opfer, sondern nur tote Kriminelle.

Die Presse von BILD bis zu vielen Lokalzeitungen macht dabei gerne mit in der rassistischen Deutung der rechten Morde. Zu Zeiten, als es keine ernsthaften Indizien für irgendwas gab, wurde von “Dönermorden”, von “kriminellen Banden” und von “Ausländerkriminalität” gesprochen – anstatt dass, wenn schon nicht bei der Polizei, zumindest in den Medien den Hinweisen auf einen rassistischen Hintergrund der Taten nachgegangen wird. Nein, lieber übernimmt man ohne eigene Recherche die Polizeimeldungen – anstatt zum Beispiel die Stimme der Hinterbliebenen hörbar werden zu lassen.

Der NSU-Prozess wurde diese Woche beendet. Doch vieles bleibt ungelöst und unbeantwortet. Mundlos, Bönhardt und Zschäpe waren nicht alleine. Und es gibt noch viele, die so denken wie sie und sich auf einen bewaffneten Kampf vorbereiten. Es gibt immer noch Nazis, die im Untergrund leben. Es werden immer wieder Waffenlager von Nazis entdeckt – und wir reden hier von Kriegswaffen, nicht von Steinschleudern und Eisenstangen. Rechte Reichsbürger schießen auf Polizisten und sogenannte Prepper bereiten sich auf den Zusammenbruch der Gesellschaft vor.

Auch in den Institutionen dieses sogenannten Rechtsstaates scheint bislang kein wirkliches Umdenken stattzufinden: Immer wieder werden rassistische Skandale bei der Polizei bekannt. Einer Diskussion über den institutionellen Rassismus in den Behörden wird sich vehement entzogen. Gleichzeitig wird auf höchster europäischer Ebene beschlossen, ein System von Lagern an der EU-Außengrenze aufzubauen – und in Deutschland überbieten sich die Parteien in ihrer Anti-Flüchtlings-Rhetorik.

Wenn wir rechte Terrorzellen verhindern wollen, dann müssen wir über Rassismus reden und Rassismus in all seinen Formen bekämpfen: Ob auf der Straße, in den Institutionen oder in unser aller Köpfen! Packen wir es an!